Außerklinische Intensivpflege: Vereine der Elternselbsthilfe schlagen Alarm!

Die gesetzliche Neuregelung der außerklinischen Intensivpflege stellt Eltern von schwer erkrankten und behinderten Kindern vor unlösbare Aufgaben. Erhöhte Anforderungen an die zur Versorgung erforderlichen Pflegekräfte und widersprüchliche Regelungen zur Entscheidungsbefugnis von Ärzten und Krankenkassen behindern den gewohnten Besuch von Kindergärten und Schulen. Eltern sind dadurch gezwungen, die Versorgung ihrer pflegebedürftigen Kinder rund um die Uhr alleine zu erbringen. Die Förderung und Unterstützung für eine altersentsprechende Entwicklung der Kinder ist dadurch nicht mehr möglich.

Lina (Name geändert) ist vier Jahre alt und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Kassel, wo sie einen integrativen Kindergarten besucht. Durch eine angeborene Erkrankung ist sie schwer behindert und erlebt wegen medizinisch nicht einstellbaren Stoffwechselstörungen in unregelmäßigen Abständen schwere gesundheitliche Krisen mit unmittelbar lebensbedrohlichen Zuständen. Zuhause wird ihr Gesundheitszustand deshalb rund um die Uhr von den Eltern überwacht.

Im Kindergarten, wo sie zur Förderung ihrer Entwicklung mit gleichaltrigen Kindern spielt und lernt, wurde sie bislang durch eine geschulte Pflegefachkraft begleitet, da die fachgerechte Versorgung bei Notfällen nicht durch die betreuenden Erzieherinnen sichergestellt werden kann.

„Bei seltenen Erkrankung kommt es leider immer wieder zu lebensbedrohlichen Krisen, die aber durch sofortige fachgerechte Interventionen beherrschbar sind. Allerdings ist nicht vorhersehbar, wann und wie oft diese Krisen auftreten. In Zeiten, in denen die Eltern zur Krisenintervention nicht zur Verfügung stehen, sind diese Kinder daher auf die ständige Begleitung durch eine geschulte Fachkraft angewiesen“ sagt Prof. Dr. Bernd Wilken, Chefarzt im Sozialpädiatrischen Zentrum Kassel.

Eine erneute ärztliche Verordnung für die pflegefachliche Begleitung von Lina wurde jetzt jedoch von der zuständigen Krankenkasse abgelehnt. Auch der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos, obwohl die Notwendigkeit der kontinuierlichen Krankenbeobachtung nicht angezweifelt wird. Die Begleitung kann

nach Einschätzung der Krankenkasse aber durch eine weniger qualifizierte Kraft erfolgen, weshalb sie ihre Zuständigkeit jetzt zurückweist.

Hintergrund der Ablehnung ist die am 1. Januar 2023 neu eingeführte Richtlinie zur außerklinischen Intensivpflege (AKI). Damit findet das bereits im Sommer 2020 beschlossene Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz erstmals Anwendung. Ziel der Neuregelung ist es, insbesondere bei Menschen, die auf künstliche Beatmung angewiesen sind, die intensivpflegerische Versorgung zu verbessern. Um dies zu erreichen dürfen in der außerklinischen Intensivpflege jetzt nur noch besonders qualifizierte Pflegefachkräfte eingesetzt werden. AKI erhalten aber nicht nur Menschen mit Beatmung. Rund zwei Drittel der anspruchsberechtigten Kinder und Jugendlichen sind wegen anderer, meist seltener frühkindlicher Erkrankungen auf die intensivpflegerische Versorgung angewiesen. Bei diesen Kindern ist die AKI meist nur stundenweise erforderlich, zum Beispiel um den Besuch von Kindergarten oder Schule zu ermöglichen.

Aufgrund der Neuregelung prüfen die Krankenkassen mit Unterstützung durch den Medizinischen Dienst jetzt verstärkt, ob der Einsatz dieser besonders qualifizierten Fachkräfte tatsächlich erforderlich ist. Da die bisherige Leistung der speziellen Krankenbeobachtung durch die außerklinische Intensivpflege abgelöst wird, entfällt der Leistungsanspruch, wenn diese hohe Qualifikation nicht erforderlich ist.

Um eine Verordnung für AKI ausstellen zu dürfen, müssen Fachärztinnen und Fachärzte auf die Behandlung der jeweiligen Erkrankung spezialisiert sein und ihre Qualifikation gesondert nachweisen. Im Gegensatz dazu gibt es keine fachspezifischen Qualifikationsanforderungen für Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes, die den verordneten Leistungsanspruch prüfen.

Wenn also künftig außerklinische Intensivpflege zur Sicherung des Überlebens von Kindern und Jugendlichen mit schwerer Behinderung durch spezialisierte Fachärztinnen und Fachärzte verordnet wird, ein in medizinischen Fragen weniger qualifizierter Mitarbeiter im Auftrag der zuständige Krankenkasse die Übernahme der Kosten jedoch für nicht angemessen erachtet, bleibt den Familien keine andere Wahl, als ihren Leistungsanspruch gerichtlich klären zu lassen.

„Bundesweit haben mehrere tausend nicht beatmete Kinder und Jugendliche Anspruch auf außerklinische Intensivpflege. Deren Familien müssen nun befürchten, dass sie neben ihrem ohnehin hoch belasteten Alltag zusätzlich langwierige Gerichtsverfahren führen müssen, damit ihre Kinder weiterhin Kindergärten und Schulen besuchen können, um an einem normalen Alltagsleben teilzuhaben“ sagt Markus Behrendt, Vorsitzender des Vereins IntensivLeben aus Kassel.

Vereine der Elternselbsthilfe und der Behindertenhilfe fordern daher gemeinsam, dass der Besuch von Kindergärten und Schulen weiterhin auch schwer erkrankten Kinder ohne unzumutbare Belastungen ermöglicht werden muss. Um den Familien langwierige Rechtsverfahren zu ersparen, soll daher gewährleistet werden, dass die künftig jährlich vorgesehenen Prüfungen durch den Medizinischen Dienst nur durch Fachpersonal erfolgen darf, das mindestens die gleichen Qualifikations- voraussetzungen erfüllt, wie die verordnenden Fachärztinnen und Fachärzte.

Weitere Informationen sowie Bildmaterial senden wir Ihnen auf Anfrage gerne zu. Für Rückfragen und bei Interviewinteresse stehen wir gerne jederzeit zur Verfügung.

Kontakt Elternselbsthilfe

Markus Behrendt
IntensivLeben e.V.
Lippoldsberger Str. 6
34126 Kassel

Tel.: 0561 – 50 35 75 72
Mail: info@intensivleben-kassel.de
www.intensivleben-kassel.de
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